Die Abkehr der EU von ihren Grundwerten

Salzburger Nachrichten, 29. Juli 2023

Im Jahr 1923 schrieb der erst 28-jährige Richard Coudenhove-Kalergi sein programmatisches Buch „Pan-Europa“. Damals sah er Europas Frieden und Wohlstand durch zwei Großmächte in Gefahr: Russland und die USA. Dem gegenüber stellte er einen europäischen Staatenbund als Konzept einer neuen Nachkriegsordnung. Es brauchte jedoch noch einen weiteren grauenvollen Weltkrieg, bis seine Idee auf fruchtbaren Boden fiel.

Die Gründerväter der Europäischen Einigung bauten diese auf den Säulen von Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Und tatsächlich schien das Projekt durch christlich-wertkonservative Staatsmänner wie Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer realisierbar.

Doch mit der Zeit schlichen sich Fehlentwicklungen ein. Einzelne Interessengruppen benutzen die EU für ihre Vorteile, zum Schaden für das Gemeinwohl. Eine immer mächtigere Bürokratie übernahm das Ruder – und die Politik ließ es zu. Der Philosoph und ehemalige Politiker Rocco Buttiglione, der wegen seiner persönlichen Überzeugung 2004 als Vizepräsident der Kommission verhindert wurde, bringt es in seinem jüngsten Buch auf den Punkt: Es dominiere heute in Europa eine „herrschende Klasse“, die nur für ihre eigenen Interessen, jedoch nicht für jene der Bürger arbeite.

Dies führt dazu, dass die Grundwerte des europäischen Gedankens auf den Kopf gestellt werden: Statt für Frieden und Sicherheit in Europa und in der Welt einzustehen, werden Völker ausgegrenzt, selbst wenn sie Mitglieder der EU sind, an den Pranger gestellt und Feindbilder kultiviert. Statt Freiheit für die Bürger zu sichern, häufen sich die Vorstöße der Kommission, möglichst jeden lückenlos zu überwachen, in die Privatsphäre einzudringen – Stichworte „EU-ID“ und Vermögensregister – und die Zensur auszubauen. Statt Wohlstand für alle anzustreben, wird derzeit die Verarmung der Bevölkerung und die staatliche Geldverschwendung vorangetrieben – zum Vorteil Einzelner und Interessengruppen, die prächtig verdienen. All dies findet unter wechselnden Vorwänden und angeblich hehren Zielen statt. Mal ist es die Gesundheit, mal das Klima, mal ein äußerer Feind, mal die „Demokratie“ oder die „europäischen Werte“.

In Wahrheit hat man Werte längst entsorgt und agiert allein Interessengetrieben. Statt einer Werte-Verfassung als Basis eines freien und selbstbestimmten Lebens werden wir erschlagen von immer mehr Vorschriften, Zwängen und Regeln. Interessen und Zwänge ersetzen aber keinesfalls eine europäische Idee. Somit ist es kein Wunder, dass der EU und speziell der Kommission immer mehr Ablehnung und Misstrauen entgegengebracht werden.

Für die Zukunft Europas gibt es mehrere Szenarien: Europa scheitert an seinen strukturellen und inhaltlichen Fehlentwicklungen und fällt auseinander. Dafür gibt es bereits Anzeichen, man denke an den Brexit. Dann wird Europa zwischen den großen Machtblöcken USA und den BRICS-Staaten zerrieben, sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich. Das kann niemand ernstlich wollen. So bleibt nur, dass im Sinn einer Verantwortungsethik wieder mehr das Gemeinwohl der Völker Europas in den Blick rückt. Es braucht eine Rückbesinnung, dass Europa auf gemeinsamen Werten aufgebaut ist, die im philosophischen Sinne christliche Werte sind. Dies wäre die Chance, das Ruder noch herumzureißen und die europäische Idee zu retten.

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