Schuld und entschuldigen

Salzburger Nachrichten, 17.12.2022

Das Muster ist altbekannt: Taucht ein Problem auf, ist die Versuchung sehr groß, sich sofort auf die Suche nach dem oder den Schuldigen zu machen, anstatt nach Lösungen zu suchen. Stets sind es die anderen, die schuld sind, nicht man selbst. In feudalen Zeiten war es an Fürstenhöfen üblich, dass bei Vergehen adeliger Kinder ein sogenannter „Prügelknabe“, ein Kind niederen Ranges, bestraft wurde.

Dieses Muster kennt man auch heute noch, wenn andere für Verfehlungen von Mächtigen oder Vorgesetzten beschuldigt und bestraft werden. Oder eine Gemeinschaft wählt willkürlich eine Gruppe aus, der die Schuld an Missständen gegeben wird: Missernten, Seuchen, Konflikte, Wirtschaftskrisen. Dahinter steht der Irrglaube, dass man, wenn man andere beschuldigt und bestraft, dann auch das Problem aus der Welt geschafft ist. Zudem fühlt man sich entlastet und moralisch befriedigt. Somit fällt es leichter, jemand anders die Schuld zu geben, als diese bei sich selbst zu suchen und sich der Problemlösung zu widmen.

 

Nicht zufällig ist die Frage der Schuld, und zwar der eigenen, ein zentrales Thema der christlichen Religion. Bekannt ist die Bibelstelle, in der es um den Balken im eigenen Auge geht, den man oft nicht sieht, dafür den Splitter im Auge des anderen. Das Einbekennen eigener Schuld ist hart, jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man sich dann beim Anderen entschuldigt und von seiner Schuld befreit werden kann.

Leider ist dies sehr aus der Mode gekommen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben. Wann hat man zuletzt davon gehört, dass sich etwa ein Politiker für Fehler oder Fehlverhalten entschuldigt hätte? Ein Schuldeingeständnis wird als Schwäche gewertet. Doch ist es im Gegenteil ein Zeichen von Stärke, von Charakter, von Gewissensbildung. Sich beim Anderen oder in der Öffentlichkeit für einen Fehler zu entschuldigen, ist auch vernünftig und klug. Einen Fehler einzugestehen, birgt die Möglichkeit, diesen zu korrigieren und daraus zu lernen. Fehler zu vertuschen oder die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben und weiterhin das Falsche zu tun, macht die Sache nur noch schlimmer und verbaut den Weg zu Lösungen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum derzeit so vieles schief läuft, wir in einer multiplen Krise verhaftet sind und der falsche Weg immer weiter gegangen wird?

Für den Ungeübten in der Gewissenserforschung ist das Einbekennen der eigenen Schuld sehr schwer, schwierig ist für den Anderen aber oft auch die Vergebung. Dafür gibt es viele Beispiele: In vielen Familien gibt es tiefe Verletzungen, Streit, man redet nicht mehr miteinander; Menschen wurden in der Pandemie zu Unrecht als „Gefährder“ beschuldigt; In kriegführenden Ländern fügen Menschen einander entsetzliches Leid zu. Wie soll man da gut miteinander weiterleben?

Es funktioniert nicht, in einer „Schwamm drüber“-Mentalität einfach zur Tagesordnung überzugehen, die Schuld zu vergessen oder zu verdrängen. Am Beginn sollte vielmehr das Schuldeinbekenntnis stehen, die Reue, dann erst kann der Andere die Schuld vergeben.

Wir alle machen uns immer wieder schuldig. Darum braucht es das Einbekennen der Schuld, die Vergebung, die Versöhnung und die Auflösung von Wut und Hass. Sonst kann es keinen Frieden geben, nicht in den Familien, nicht in der Gesellschaft und nicht in der Welt. Und ohne Frieden gibt es kein gutes Leben.

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„Der Weg zur Versöhnung wird lang und schmerzhaft”

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Es braucht eine Rückbesinnung auf die journalistischen Grundregeln